Präsident Marcos schweigt zu Menschenrechte in erster Amtsansprache

Am 30. Juni 2022 ging die Führung der philippinischen Regierung von Präsident Rodrigo Duterte auf Präsident Ferdinand „Bongbong“ Marcos Jr. über, der Sohn des ehemaligen Diktators Ferdinand Marcos Sr.

Internationale Menschenrechtsgruppen wie Human Rights Watch (HRW) forderten Marcos auf, die Philippinen wieder auf den richtigen Weg zu bringen und klare Prioritäten sowie Maßnahmen zur Verbesserung der Menschenrechtslage im Land festzulegen. Nach den Präsidentschaftswahlen bekannte sich Marcos gegenüber dem UN-Koordinator in Manila zur Menschenrechtsorientierung seiner Regierung und begrüßte die Möglichkeit, mit den Vereinten Nationen an der Verbesserung der Menschenrechtslage im Land zu arbeiten.

In seiner ersten öffentlichen Amtsansprache („State of the Nation Address“, SONA) am 25. Juli 2022 nannte Marcos jedoch nur eine lange Liste von Maßnahmen ohne konkrete Ziele oder Pläne. Als wichtigste Prioritäten seiner neuen Regierung führte er die Rehabilitierung der Wirtschaft an, die Rückkehr zum Frontalunterricht für Schüler*innen sowie die Verbesserung der Ernährungssicherheitslage. Die Frage der Menschenrechte und die Notwendigkeit der Rechenschaftspflicht für die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen, die unter der Regierung seines Vorgängers und seines Vaters begangen wurden, ließ Marcos jedoch völlig unberührt. Er schwieg auch zu den immer noch ausgesetzten Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs wegen angeblicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Zusammenhang mit den außergerichtlichen Tötungen während der Regierungszeit von Rodrigo Duterte als Präsident wie auch als Bürgermeister von Davao City. Darüber hinaus thematisierte Marcos in seiner Ansprache kaum die Sicherheitsprobleme im Land, den ins Stocken geratenen Friedensprozess mit den kommunistischen Aufständischen oder die Herausforderungen, denen die autonome Region Bangsamoro in Muslim Mindanao ausgesetzt ist.

Cristina Palabay, Generalsekretärin der Menschenrechtsgruppe Karapatan, betonte, dass Marcos es versäumt habe, „Pressefreiheit, Desinformation, Todesstrafe und das Fehlen von inländischen Rechenschaftsmechanismen“ zu erwähnen. Marcos‘ Schweigen zu diesen Themen deutet auf einen Mangel an politischem Willen hin die Politik der vorherigen Duterte-Regierung zu ändern sowie auf das Risiko einer weiteren „Schließung der demokratischen Räume“. Auch Carlos Conde von HRW glaubt, dass die neue Regierung die Rechenschaftspflicht für vergangene Menschenrechtsverletzungen nicht aufgreifen wird.

Die gemäßigte Rhetorik von Marcos unterscheidet sich deutlich von den aggressiven Reden seines Vorgängers, welche der philippinischen Regierung erneut die Türen der internationalen Gemeinschaft öffnete: Marcos wurde zu mehreren diplomatischen Besuchen eingeladen, unter anderem in die USA und zur EU nach Brüssel. Die Einladung von US-Präsident Joe Biden ins Weiße Haus hat auch Marcos‘ Immunität auf amerikanischen Boden gesichert. Denn es besteht weiterhin ein Urteil von einem Gericht in Hawaii wegen Missachtung in der Höhe von 353 Millionen US-Dollar in Bezug auf eine Klage wegen Menschenrechtsverletzungen gegen seinen Diktator-Vater.

Die philippinische Nationalpolizei riet der Öffentlichkeit zunächst davon ab, während Marcos‘ SONA Proteste abzuhalten. Dennoch versammelten sich Gruppen der Koalition Bagong Alyansang Makabayan (Bayan) und marschierten entlang der Commonwealth Avenue. Sie forderten Präsident Marcos auf, das Problem der steigenden Rohstoffpreise anzugehen, Umweltschutz zu gewährleisten und der Rechenschaftspflicht gegenüber den Menschenrechten Vorrang einzuräumen. Menschenrechtsgruppen wie Samahan ng Ex-Detainees Laban sa Detensyon (SELDA) machten ebenfalls deutlich, dass sie weiterhin von der philippinischen Regierung Rechenschaft und Wiedergutmachung für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen fordern werden.

 

Photo © Raffy Lerma

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