Updates zum Anti-Terrorismus Gesetz von 2020

5. Februar 2021 | Human Rights News, Innenpolitik

Update Mai 2022 – Alle Petitionen abgelehnt:

Am 2. März 2022 reichte der Großteil der ursprünglichen Kläger*innen erneut einen gemeinsamen Antrag auf Prüfung des gesamten Anti-Terrorismus Gesetzes sowie einzelner Abschnitte ein. Nun fällte der Oberster Gerichtshof (SC – Supreme Court) am 26. April 2022 sein finales Urteil zum umstrittenen und mehrmals angefochtenen Gesetz: Alle Petitionen werden abgelehnt. Sowohl die Free Legal Assistance Group (FLAG) als auch die National Union of Peoples’ Lawyers (NUPL) äußern sich bestürzt und enttäuscht. Beide Rechtsgruppen betonen allerdings auch, dass sie die missbräuchlichen Anwendungen des Gesetzes weiterhin anfechten werden und wachsam bleiben.

Zur Entscheidung des SCs schreibt Lian Buan vom Rappler: „Dies bedeutet, dass die gefürchteten Klauseln des Gesetzes gegen mutmaßliche Terrorist*innen verwendet werden. Kritische Stimmen sagen, dass das Gesetz als Waffe gegen die politische Opposition, Aktivist*innen und selbst Andersdenkende eingesetzt werden wird.“

Update September 2021:

Der erste Fall, bei dem das Anti-Terror-Gesetz Anwendung fand, wurde nun revidiert. Japer Gurung und Junior Ramos, zwei Mitglieder der indigenen Aeta-Gemeinschaft in Zambales, wurden am 21. August 2020 festgenommen, als sie sich von einem Schusswechsel zwischen dem Militär und der New Peoples Army (NPA) entfernen wollten. Daraufhin wurden sie im November 2020 angeklagt und beschuldigt, einen Soldaten getötet zu haben. Das regionale Strafgericht in Olongapo wies die Anklage wegen Terrorismus am 15. Juli 2021 ab und beantragte nach 11-monatiger Haft die sofortige Freilassung – aufgrund mangelnder Beweise, Wiedersprüche bei den Zeugenaussagen der Soldaten und der ohnehin unbefugten Festnahme, die auch die Hausdurchsuchungen ungültig macht.

National Union of Peoples‘ Lawyers (NUPL) Präsident Edre Olalia äußert trotz Erleichterung weiterhin seine Bestürzung: „[Sie wurden] zum Spielball des Staates gemacht, der sie überhaupt erst ins Gefängnis gebracht hat und dessen selbstgerechte Akteure sogar dreistes unethisches Verhalten an den Tag legten, um sie ihrem ursprünglichen Anwalt zu entreißen, um den Blick auf das offensichtliche Unrecht an ihnen zu entschärfen.“ Gurung und Ramos, die anfangs noch von Anwält*innen der NUPL vertreten wurden, reichten wegen der Folterung in Militärhaft auch eine Petition gegen das Anti-Terrorismus-Gesetzt von 2020 ein, zogen eben diese unerwartet und mutmaßlich unter Druck im Februar 2021 zurück, woraufhin dann auch der juristische Beistand der NUPL ausgesetzt wurde.

Die Regierung plant momentan keine rechtlichen Schritte gegen beteiligte Soldaten. Die Chancen, dass die Verantwortlichen für die unrechtmäßige Verhaftung und Inhaftierung zur Rechenschaft gezogen werden, stehen ohnehin schlecht. So sagt NUPL Vorsitzende Neri Colmenares: „Unser Justizsystem ist für den Kampf gegen die Straflosigkeit denkbar ungünstig, vor allem, wenn man hinter Gesetzeshütern her ist.“ Der Menschenrechtsanwalt Algamar Latiph unterstreicht diesbezüglich, dass der Justizminister Menardo Guevarra selbst Mitglied des Anti-Terrorism Counsils (ATC) ist.

Update Juni 2021:

Die 9. und letzte mündliche Anhörung gegen das Anti-Terror-Gesetz wurde am 17. Mai abgehalten und führte nicht, wie von den 37 Petitionsunterzeichner*innen angestrebt, zu einer einstweiligen Verfügung gegen das Gesetz.

Der Oberste Gerichtshof beendete die Anhörung mit einer Liste von Fragen an die Anwälte der Regierung, um zum Beispiel die Definition von Terrorismus, die Rolle des Militärs und andere rechtliche Rahmenbedingungen zu klären. Um nur einige davon zu nennen: „Gilt Rebellion jetzt als Terrorakt? Macht das Bekenntnis zu Kommunismus und fundamentalistischem Islamismus einen zum Terroristen? Wie kann eine Person, die vom Anti-Terrorism Council (ATC) zum Terroristen erklärt wurde, diese Einstufung anfechten, wenn dies ohne ein ordentliches Verfahren geschehen ist?“. Gleichzeitig werden die Petitionsunterzeichner*innen gebeten, ihre letzten Stellungnahmen bis maximal 16. Juni einzureichen.

Am 12. Mai, während der vorletzten mündlichen Anhörung, hat der Nationale Sicherheitsberater Hermogenes Esperon Jr. durch seine Aussagen und eine Videopräsentation progressive Gruppen, einschließlich einiger Petitionsunterzeichner*innen, als Terroristen verleugnet. Diese reichten einen gemeinsamen Antrag ein, um Esperon zu verbieten, im Rahmen der Anhörung erneut zu sprechen, und sagten: „Esperon war in der Lage, vor diesem Gericht Red-Tagging zu betreiben, wo doch Red-Tagging eine der großen Gefahren ist, die die Petitionsunterzeichner*innen überhaupt erst zu diesem Gericht getrieben hat.“ Der Oberste Gerichtshof gab ihrem Antrag statt, erließ aber auch eine „show cause order“ (Erklärungsanweisung) an Ted Te, selbst Kläger und Anwalt vor Gericht, nachdem er sich auf Twitter kritisch über das Nichteinschreiten des Gerichts geäußert hatte.

Am 13. Mai veröffentlichte der Anti-Terrorism Counsil (ATC) die lang gefürchtete Liste, auf der 29 Personen als „Terrorist*innen“ identifiziert wurden. Das ATC listete 19 Mitglieder der Communist Party of the Philippines (CPP), einschließlich ihres Gründers, Jose Ma. Sison, unter der Resolution Nr. 17, die es erlaubt, Personen oder Organisationen als Terrorist*innen zu kennzeichnen, „um sich am Terrorismus zu beteiligen.“ 10 Personen der Abu Sayyaf werden unter der Resolution Nr. 16 „für Verschwörung, Planung und Vorbereitung zur Begehung von Terrorismus“ genannt.

Update März 2021:

Nach einer längeren Pause aufgrund von selbstauferlegter Quarantäne des Obersten Gerichtshofs wurden die Anhörungen zum Anti-Terror Gesetz am 2. März 2021 wieder aufgenommen. In dieser Weiterführung wird, so die nationale Union der Anwält*innen NUPL, möglicherweise auch die Drohung von General Parlade gegen die Journalistin Tetch Torres-Tupa sowie weitere Petitionsunterzeichner*innen diskutiert werden, da hier deutlich wird, wie gefährlich das Anti-Terror-Gesetz sein kann.

Aufgrund der Festnahmen des Petitionsunterzeichners Chad Errol Booc, eines ehrenamtlichen Lehrers, sowie Windel Bolinget, Vorsitzender der Cordillera People’s Alliance, haben die Petitionsunterzeichner*innen erneut um eine vorübergehende einstweilige Verfügung gebeten.  Booc und weitere 25 Menschen wurden infolge der vorgeblichen Rettungsaktion für Lumad-Schüler festgenommen. Gesetzgeber bezeichnen die Festnahme Boocs als illegal.

Mehr lesen:

Rappler: Live Updates: Supreme Court oral arguments on anti-terror law

Vera Files: Lawyers seek SC intervention on attacks on colleagues, activists

CNN Philippines: Major issues raised against the Anti-Terrorism Act

Philstar: TRO sought anew verses Anti-Terror Law

Philstar: Citing relentless red-tagging and arrests, SC urgend to temporarily anti-terror law implementation

Inquirer: Some justices on quarantine

Update Februar 2021:

Am Dienstag, den 2. Februar 2021 wurde die erste Sitzung am Obersten Gerichtshof zu den 37 Klagen gegen das Anti-Terror Gesetz von 2020 mit sieben Eröffnungsstatements durch Vertreter*innen Gruppe der Kläger*innen abgehalten. Lian Buan von Rappler kommentierte, dass es durchaus üblich ist, mündliche Anhörungen bis in die Abendstunden andauern zu lassen, während die Anhörungen zum Anti-Terror Gesetz um 17:30h beendet wurden. Eine zweite Sitzung  mündlicher Anhörungen, bei der auch Jose Calida gehört werden wird, ist für den 9. Februar um 14h terminiert.

Am Dienstag, den 2. Februar, reichten außerdem zwei Folteropfer, die Aetas Japer Gurung and Junior Ramos, ein Gesuch ein, sich der Gruppe der 37 Klagen anzuschließen. Die beiden gelten als die ersten Angeklagten, denen ein Verstoß gegen das Anti-Terror Gesetz von 2020 vorgeworfen wird. Am Donnerstag, den 3. Februar 2021, erfuhr Tetch Torres-Tupa, Journalistin des Inquirer und Mitglied der Justice and Court Reporters Association (JUCRA) aufgrund ihrer Berichterstattung zu den Fällen von Japer Gurung und Junior Ramos im Kontext der Klagen gegen das Anti-Terror Gesetz Red-tagging durch Lt. Gen. Antonio Parlade Jr. auf Social Media-Kanälen der Regierung.

Wichtige Aspekte, die die Vertreter*innen der Kläger*innen vorbrachten waren unter anderem die Kriminialisizerung des „state of mind“, da nach dem neuen Gesetz bereits eine vermeintliche terroristische „Absicht“ strafbar ist. Nach internationalen Standards müsste es zunächst zu einer Straftat gekommen sein, woraufhin diese und die Absicht der Täter*innen analysiert und bewertet würden. Weitere Befürchtungen bezogen sich auf die ausgeweiteten Befugnisse der Regierung zur Überwachung, Inhaftierung von Verdächtigen und möglicher Einschränkungen der Meinungsfreiheit.

Hintergrund:

Präsident Duterte unterzeichnete die Gesetzesentwürfe zum Anti-Terrorismus Gesetz am 3. Juli 2020.  Das Gesetz beinhaltet eine Terrorismusdefinition, die von Anwälten und Menschenrechtsorganisationen als zu weit gefasst und vage kritisiert wird. Bis dato sind 37 Klagen gegen das Gesetz beim Obersten Gerichtshof der Philippinen eingegangen. Es gibt Anlass zur Sorge, dass die philippinische Rechtssprechung nicht effektiv genug agiert, um Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. Die Hohe Kommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, drückte ebenfalls ihre Besorgnis über das Gesetz aus, da „wichtige Unterscheidungen zwischen Kritik, Kriminalität und Terrorismus verschwimmen würden”. Teil des neuen Gesetzes ist auch der sogenannte Anti-Terrorismus Council (ATC), der die Befugnis hat, Individuen und Organisationen zu „Terroristen“ zu erklären. Dies ist problematisch, da der ATC nicht unabhängig ist, sondern aus Vertreter*innen und Angestellten der Regierung besteht. Jene, die als “Terroristen” benannt werden, können ohne gerichtlichen Haftbefehl verhaftet und bis zu 24 Tage ohne Anklage und ohne einen Richter zu sehen festgehalten werden. Der aktuellste Grund zur Sorge sind die sogenannten Implementing Rules and Regulations (IRR), die die Umsetzung des Gesetzes beschreiben und am 17. Oktober 2020 publiziert wurden. Hier wird unter Abschnitt Rule 6.5 eine Liste mit Individuen und Organisationen angekündigt, die vom ATC als “Terroristen” benannt werden. Diese Liste soll in nationalen Zeitungen sowie online publiziert werden.  Unter Abschnitt Rule 6.9 haben Individuen auf dieser Liste 15 Tage Zeit einen Antrag zu stellen, von der Liste entfernt zu werden. Philippinische Menschenrechtsgruppen erwarten die Publikation zeitnah in den kommenden Wochen und befürchten, dass die Liste ca. 300 Namen führen könnte. Im Hinblick auf die Lebensgefahr und die zuletzt zunehmend breitere Anwendung des sogenannten red-tagging, bedeutet die Liste einen verschärftes Vorgehen gegen die Sicherheit jener, die auf der Liste stehen werden. Es steht ebenfalls zu befürchten, dass die Konten jener, die als “Terroristen” benannt werden, ohne Untersuchung durch den Anti Money Laundering Council (AMLC) und ohne gerichtliche Anordnung eingefroren werden, was die soziale und zivilgesellschaftliche Arbeit massiv einschränken würde.

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