Die Auslegung des Römischen Statuts, insbesondere in Bezug auf die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) nach dem Rücktritt eines Staates, ist ein zentraler Punkt in der laufenden juristischen Debatte um den Fall des ehemaligen philippinischen Präsidenten Rodrigo Duterte vor dem IStGH.
Duterte wurde am 12. März 2025 nach seiner Festnahme durch die philippinischen Behörden an den IStGH ausgeliefert und befindet sich derzeit in dessen Gewahrsam. Zwei prominente Rechtsexpert:innen, Dov Jacobs und Leila Sadat, haben ihre gegensätzlichen Ansichten zu seiner Verhaftung dargelegt.
Jacobs ist das neueste Mitglied von Dutertes Verteidigungsteam. Er ist Anwalt bei der britischen Anwaltskanzlei 9BR Chambers und gehörte zuvor zum Verteidigungsteam von Laurent Gbagbo, dem ehemaligen Präsidenten der Elfenbeinküste, in seinem Verfahren vor dem IStGH wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das mit einem Freispruch für Gbagbo endete. Einem Bericht von Rappler zufolge ist Sadat Professorin an der Washington University School of Law und diente dem IStGH-Ankläger einst als Sonderberaterin für Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Jacobs kommentierte zuvor auf LinkedIn, dass die Vorverfahrenskammer des IStGH zwar „entschieden habe, dass der Ankläger eine Untersuchung einleiten könne, nachdem der Austritt der Philippinen aus dem Römischen Statut in Kraft getreten sei“, er aber weiterhin glaube, dass diese „Entscheidung rechtlich fehlerhaft sei und aus einer Verwechslung von ‚Zuständigkeit‘ und ‚Ausübung der Zuständigkeit‘ resultiere, was in klarem Widerspruch zu den Bestimmungen des Römischen Statuts und seiner Logik stehe“.
Sadat ist anderer Meinung und behauptet, dass die Zuständigkeit erhalten bleibt, solange vor der Rücknahme eine Voruntersuchung eingeleitet wird. In allen Fällen haben der Internationale Gerichtshof, der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte und der IStGH festgestellt, dass die Zuständigkeit des Gerichts fortbesteht, solange es ein laufendes Verfahren gibt und die Verbrechen begangen wurden, während der Staat noch Vertragspartei des Römischen Statuts war, erklärte sie in einem Interview mit Rappler.
Jacobs‘ Interpretation ist ein entscheidender Teil der Argumentation der Verteidigung, die darauf abzielt, dass der Fall vor der für den 23. September 2025 angesetzten Anhörung zur Bestätigung der Anklage aus Gründen der Zuständigkeit abgewiesen wird. In ihrem Interview mit Rappler drückte Sadat ihre Zuversicht aus, dass die Anklage gegen Duterte bei der besagten Anhörung aufgrund der vorliegenden Beweise bestätigt werden würde.
Duterte wird beschuldigt, ein indirekter Mittäter bei Morden im Zusammenhang mit seinem sogenannten „Krieg gegen die Drogen“ und den Morden der Davao Death Squad (DDS) während seiner Zeit als Bürgermeister und Vizebürgermeister von Davao City (2011-2016) und als Präsident der Philippinen (2016-2019) zu sein – Ereignisse, die stattfanden, als die Philippinen Mitglied des IStGH waren. Indirekte Mittäterschaft bezieht sich auf die Begehung einer Straftat durch eine andere Person und wird oft für hochrangige Beamte verwendet, die die Straftaten nicht direkt ausführen, aber dennoch dafür verantwortlich sind, sagte Sadat.
Unterdessen hat die Vorverfahrenskammer 1 des IStGH den Antrag Dutertes am 6. Mai 2025 abgelehnt, zwei Richterinnen von der Entscheidung über die Frage der Zuständigkeit in seinem Fall zu entbinden. Dutertes Anwälte hatten den Antrag am 1. Mai gestellt und eine mögliche Befangenheit der Richterinnen Reine Adélaide Sophie Alapini-Gansou und María del Socorro Flores Liera geltend gemacht, die zuvor die Voruntersuchung zu Dutertes Taten genehmigt hatten.
Die Kammer entschied, dass nach dem Römischen Statut und den Verfahren des IStGH ein Richter seine Entlassung direkt beim Präsidium des Gerichts beantragen muss und nicht über die Parteien, was Dutertes Antrag verfahrensrechtlich unzulässig macht. Dutertes Anwalt Nicholas Kaufmann beantragte jedoch am 12. Mai 2025 die Disqualifizierung der beiden Richterinnen mit der Begründung, sie seien bereits in den Fall involviert gewesen, als der IStGH-Ankläger 2021 die Ermittlungen zu Dutertes „Krieg gegen Drogen“-Morden einleiten durfte.
Am 2. Mai 2025 hat Dutertes Verteidigungsteam den IStGH ebenfalls gebeten, das Verfahren gegen ihn einzustellen, mit dem Argument, dass wegen fehlender Zuständigkeit „keine Rechtsgrundlage für die Fortsetzung des Verfahrens“ gebe. Die Anwält:innen der Opfer und die Staatsanwaltschaft haben bis zum 9. Juni Zeit, zu Dutertes Antrag, das Verfahren gegen ihn einzustellen, Stellung zu nehmen.
Foto © Internationaler Strafgerichtshof