Update November 2021:
Der ehemalige hochrangige Polizist Arturo Lascañas, der 35 Jahre lang in Davao City im Dienst war, erklärt in einer 186 Seiten langen eidesstattlichen Erklärung als eines der ersten Mitglieder des sogenannten Davao Death Squads (DDS) selbst an Morden beteiligt gewesen zu sein. Darüber hinaus geben seine Erläuterungen Einblicke, die für die Ermittlungen des IStGhs wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zwischen dem 1. November 2011 und 16. März 2016 von hoher Relevanz sind.
Lascañas wird im Ermittlungsverfahren des Internationalen Strafgerichtshof (IStGh) eingeschränkte Immunität gewährt. Das Abkommen hierfür wurde bereits am 11. November 2020 unterzeichnet. Er selbst kann im Rahmen der Ermittlungen auch als Täter behandelt, allerding nicht verurteilt werden – was eine strafrechtliche Verfolgung auf den Philippinen nicht ausschließt.
Seine Behauptungen stützt Lascañas in seiner Erklärung auf konkrete Ereignisse und Namen. Als Bürgermeister in Davao City soll Duterte den Mitgliedern des DDS die Tötung von Kriminellen und politischen Gegnern in mindestens 100 Fällen direkt oder indirekt befohlen haben. Involviert waren auch mutmaßliche ‚Helfer*innen‘ – „von denen viele in nationale Ämter berufen oder gewählt wurden, als der Boss Präsident der Philippinen wurde“ – wie zum Beispiel die Senatoren Roland dela Rosa und Christopher Go. Auch erwähnt Lascañas Dutertes Kinder.
Duterte soll enge Verbindung zu Personen gehabt haben, die in große Drogengeschäfte verwickelt waren. So werden in der eidesstattlichen Erklärung mehrfach die chinesischen Staatsangehörigen Michael Yang und Lin Weixiong genannt. Yang habe Anfang der 2000er ein Netzwerk von Methamphetamin-Laboren in Mindanao koordiniert; in diese Geschäfte soll auch Dutertes Sohn Paolo verwickelt gewesen sein. Yang war 2018 nicht nur als Dutertes Wirtschaftsberater tätig – während Dutertes Präsidentschaftszeit sind sowohl er als auch Lin „aus dem Verborgenen aufgetaucht und haben sich lukrative Geschäftsverträge gesichert,“ und sind in Korruptionsfällen verwickelt.
Bereits im März 2017 gestand Lascañas seine Mitglied- und Täterschaft im DDS öffentlich, um deren Existenz zu beweisen. Bei einer Pressekonferenz und einer späteren Anhörung vor dem Senat nannte er bereits Details, Namen, Orte und Ereignisse, die auch Dutertes Verbindung zu illegalen Drogengeschäften beinhalten – Informationen, die sich auch mit Acierto‘s Aussagen im selben Jahr deckten. Seine „Enthüllungen wurden offiziell verachtet und ignoriert,“ woraufhin Lascañas einen Monat später das Land verließ.
Update Oktober 2021:
Der seit Juni 2021 amtierende Chefkläger des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) Karim Khan äußerte sich zu Freigabe der Ermittlungen: „Wir werden unsere Bemühungen darauf konzentrieren, eine erfolgreiche, unabhängige und unparteiische Untersuchung zu führen.“ Dabei ist der Untersuchungsstab weiter bereit für eine konstruktive Zusammenarbeit mit philippinischen nationalen Behörden – und möchte darüber hinaus beispielsweise mit zivilgesellschaftlichen Akteuren und den Vertragsstaaten des IStGH kooperieren. Die Anklagebehörde (Office of the Prosecutor – OTP) kann zur Untersuchung Zeug*innen nach Den Haag einfliegen, Inhalte aus sozialen Medien heranziehen und Onlinemechanismen nutzen. Jede wichtige Instanz kann sich mit Informationen einbringen, nicht nur hochrangige, sondern auch lokale Behörden und Polizist*innen.
Rodrigo Duterte, der sich nach seiner Amtszeit im Juni 2022 aus der Politik zurückziehen wolle, sagte, dass er sich dann auf seine Verteidigung vorbereiten und bereit für die Anklage gegen ihn sein würde. Der ehemalige Polizeichef Roland dela Rosa, der nun für das Präsidentenamt kandidiert, muss sich gegebenenfalls auch einer Anklage durch das IStGH stellen. Dieser wolle allerdings lieber von einer philippinischen Strafjustiz zur Rechenschaft gezogen werden, das „wie die Hölle betrieben wird, als von einer Strafjustiz, die von ausländischen Richtern wie im Paradies betrieben wird.“
Die Frage nach der Kooperation der philippinischen Regierung bei der Untersuchung des IStGHs beschäftigt auch die Präsidentschaftskandidaten im aktuellen Wahlkampf. So würde Ferdinand Marcos Jr. (oder Bongbong Marcos) am Rückzug vom IStGH festhalten und Ermittler*innen nur eine touristische Einreise gewähren. Manilas amtierender Bürgermeister Isko Moreno würde zumindest einen Neubeitritt zum IStGH befürworten, um „international einen guten Eindruck zu hinterlassen.“ Außerdem verspricht er, falls er zum Präsidenten gewählt werde, keine extralegalen Tötungen im Kampf gegen illegale Drogen zu dulden.
Hintergrund:
Der IStGh hat nun die Ermittlungen freigegeben, wie von der ehemaligen Chefermittlerin Fatou Bensouda des IStGh hat in ihrem Statement am 14. Juni 2021 gefordert: gegen die Regierung von Duterte in der Zeit der Präsidentschaft von Juli 2016 bis zum offiziellen Austritt der Philippinen im März 2019, sowie in Davao von 2011-2016 (https://www.icc-cpi.int/Pages/item.aspx?name=210614-prosecutor-statement-philippines). Der aktuelle Chefankläger des IStGh ist Karim Khan. Die Regierung Duterte hat bereits angekündigt, nicht mit den Ermittlern des IStGh zu kooperieren.
Dieser Rappler-Artikel fasst die Hauptpunkte des Entscheidung des IStGh zusammen. Auch der SPIEGEL berichtete sowohl über den Bezug Dutertes zum IStGh in seiner letzten Rede zur Lage der Nation im Juli 2021 sowie über die Verlautbarung der philippinischen Regierung, nicht mit den Ermittlungen zu kooperieren.