Tumandok Massaker
Am 30. Dezember 2020 töteten Sicherheitskräfte der philippinischen Nationalpolizei (Philippine National Police/PNP) und des philippinischen Militärs (Armed Forces of the Philippines/AFP) auf brutale Weise neun Anführer, nämlich Roy Giganto, Reynaldo Katipunan, Galson Catamin, Mario Aguirre, Eliseo Gayas Jr., Maurito Diaz, Artilito Katipunan, Jomar Vidal und Rolando Diaz, aus der indigenen Tumandok-Gemeinschaft von Panay in der Provinz Iloilo.
Die Tumandok-Führer waren bekannte Aktivisten, die gegen Militarisierung, Landraub und den umstrittenen Bau des Jalaur-Megadamms zwischen den Dörfern Tapaz und Calinog in den Provinzen Capiz und Iloilo kämpften. Der Staudamm könnte die Umwelt und die Lebensgrundlagen der in dem Gebiet lebenden indigenen Völker (Indigenous Peoples/IPs) erheblich gefährden.
Das Massaker ereignete sich am 30. Dezember 2020 gegen 4 Uhr morgens als Sicherheitskräfte der PNP und des AFP in die Häuser der Tumandok-Anführer in den Dörfern Tapaz und Calinog eindrangen, um einen Durchsuchungs- und Verhaftungsbefehl wegen des angeblichen illegalen Besitzes von Schusswaffen und Sprengstoff umzusetzen. Die neun Tumandok-Anführer wurden vor den Augen ihrer Familien ermordet, während sechzehn weitere Tumandok-Mitglieder verhaftet wurden. Nach Angaben der Sicherheitskräfte waren sie gezwungen zu schießen, da die Opfer sich angeblich gegen die Verhaftung wehrten. Angehörige der festgenommenen IP-Mitglieder bestätigten jedoch, dass die Sicherheitskräfte die in ihren Häusern gefundenen Schusswaffen versteckt hatten und ihre Angehörigen zudem gefoltert wurden. Die verhafteten Tumandok-Mitglieder wurden später auch beschuldigt, Mitglieder der Rebellengruppe New People’s Army (NPA) zu sein.
Die National Union of Peoples‘ Lawyers (NUPL) – Panay Chapter verurteilte das Massaker und erklärte, dass die Umsetzung der Durchsuchungs- und Verhaftungsbefehle „nichts weiter als ein Vorwand war, um eine Operation durchzuführen, die darauf abzielte, [die sich für ihre Rechte einsetzenden IPs] zu töten“.
Menschenrechtsverteidiger:innen in den Philippinen werden häufig auf Grundlage erfundener Anschuldigungen kriminalisiert, bei denen ihnen Waffen untergeschoben werden – was eine gängige Taktik der Sicherheitskräfte darstellt, um diese zu diskreditieren und zu inhaftieren. Die PNP und das AFP machen sich den Mangel an forensischem Fachwissen zunutze, der Aussagen von Zeug:innen für die Ermittlungen und Gerichtsverfahren unerlässlich macht. Darüber hinaus kann bei Anklagen wegen illegalen Besitzes von Schusswaffen und Sprengstoff nur in Ausnahmefällen eine Kaution gestellt werden, was zu einer Untersuchungshaft bis zum Abschluss des Gerichtsverfahrens führt.
Vor der Serie von Morden und Verhaftungen hatte das AFP die Tumandok-Mitglieder absichtlich „red-tagged“, d. h. sie wurden beschuldigt, angebliche Unterstützer:innen des kommunistischen Aufstands zu sein. Die Praxis des „Red-tagging“ wird von den staatlichen Sicherheitskräften häufig genutzt, um die Unterdrückung von Menschenrechtsverteidiger:innen im Land zu rechtfertigen, insbesondere seit der Verabschiedung des Anti-Terrorismus-Gesetzes von 2020 und der Anordnung zur Beendigung des kommunistischen Aufstands im Jahr 2018 unter der früheren Regierung von Präsident Rodrigo Duterte.
Am 30. Dezember 2021 wurden 15 der 16 inhaftierten Tumandoks wieder freigelassen, nachdem die Durchsuchungsbefehle aufgehoben worden waren, da sie nicht den „verfassungsrechtlichen Anforderungen“ entsprachen und daher für ungültig erklärt wurden. Eine Woche später erließ der Oberste Gerichtshof ein neues Urteil, wonach die regionalen Gerichte in Manila und Quezon City, die die besagten Durchsuchungsbefehle bewilligt hatten, keine Durchsuchungsbefehle mehr außerhalb ihres regionalen Zuständigkeitsbereichs erlassen dürfen.
Die Täter:innen, die für die Ermordung der neun Tumandok-Führer verantwortlich sind, wurden bisher nicht für ihre Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft gezogen. Außerdem schikanieren das AFP und die PNP – nach Stand vom Februar 2023 – weiterhin die IPs, die für ihre Menschenrechte eintreten und gegen den Bau des Staudamms protestieren.
Das Tumandok-Massaker erinnert nicht nur an die Marcos-Ära, sondern auch an zwei aufeinanderfolgende groß angelegte Operationen staatlicher Sicherheitskräfte im Dezember 2018 und März 2019 auf der Insel Negros, bei denen insgesamt 20 Menschen ermordet und mehr als 43 Personen verhaftet wurden. Lesen Sie mehr über diese Fälle im AMP-Menschenrechtsbericht 2019 auf den Seiten 16-17.
Auch im AMP-Menschenrechtsbericht 2022 wird der Fall des Tumandok-Massakers auf Seite 26 behandelt.
Update: 14. April 2023
Foto © Hannah Wolf